Liebe Mitglieder,
vor einem Jahr haben wir den 44. Strafverteidigertag in Berlin abgesagt – oder genauer: wir haben ihn in den Herbst verschoben, um ihn dann doch absagen zu müssen. Dazwischen lag eine lange Phase der Unsicherheit und des täglichen Starrens auf Inzidenzzahlen und Reproduktionswerte. Das war für Sie und Euch genauso wie für uns schwierig.
Deshalb haben wir zum Beginn des ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG im November angekündigt, dass in diesem Jahr alles anders wird – im Idealfall mit einem Strafverteidigertag, wie wir ihn kennen und schätzen. Davon sind wir allerdings nach wie vor weit entfernt. Ein Jahr nach Auftreten der ersten SARS-CoV-2 Infektionen und dem Beginn der Lockdown-Maßnahmen sind wir bei der Planung weiter auf Spekulationen und allzu oft widersprüchliche Prognosen über die weitere Entwicklung angewiesen. Dabei wechseln sich Lockerungskonzepte und Zuversicht in die sog. Herdenimmunität mit der Warnung vor einer erneuten (dritten, vierten oder fünften) Infektionswelle ab, während die für die Planung so wichtigen Grenzwerte im Wochentakt nach oben oder unten verschoben werden. Tatsächlich wissen wir heute genauso wenig wie vor einem Jahr.
Wir haben daher beschlossen, die Sache in diesem Jahr anders anzugehen – damit Sie und Ihr, aber auch wir ein wenig mehr Sicherheit bei der Planung haben und die inhaltliche Arbeit nicht durch die ständige Umorganisation und Neuplanung blockiert wird. Einen Strafverteidigertag, wie wir ihn kennen, wird es in diesem Jahr nicht geben. Wir möchten keinen Strafverteidigertag, bei dem wir entscheiden müssen, welche 100, 200 oder vielleicht 300 Gäste teilnehmen können und wer zuhause bleiben muss. Er wäre auch schlicht nicht planbar. Niemand weiß, wie die Auflagen im Sommer sein werden. Räume müssten so geplant und gebucht werden, dass die Veranstaltung auch unter Infektionsschutzauflagen durchführbar wäre. Das bedeutet unter den geltenden Auflagen, dass Räume, die unter Normalbedingungen 1.000 Menschen Platz bieten, nur noch für etwas mehr als 100 nutzbar wären. Ob sich das bis zum Sommer grundlegend ändert, kann niemand vorhersagen.
Solange möchten wir nicht warten und Ihnen/Euch und uns eine weitere Hängepartie ersparen. Es gibt nämlich auch in der Pandemie viele drängende rechtspolitische Entwicklungen, die verhandelt werden müssen. Anstelle eines unsicheren Strafverteidigertages irgendwann Ende des Sommers, bei dem wir mutmaßlich bis kurz zuvor kaum werden sagen können, unter welchen Bedingungen und mit wievielen zulässigen Teilnehmer*innen er stattfinden kann, wird es in diesem Jahr eine Reihe von Veranstaltungen geben, die überwiegend virtuell stattfinden und zu denen wir Sie und Euch herzlich einladen.
2021 ist der Strafverteidigertag ein Strafverteidigerjahr!
Juni: DNA-Beweis und erweiterte DNA-Analyse
September: Hearing:V:Personen
November/Dezember: ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG 2021
JUNI 2021
Den Auftakt macht im Juni eine Online-Tagung zur forensischen DNA-Analyse:
Das lange Wochenende der Genome. DNA-Beweis und erweiterte DNA-Analyse am 12. und 13. Juni 2021.
Der DNA-Beweis gilt nach wie vor als eine Art Superbeweis, auch wenn er nur auf Wahrscheinlichkeiten fußt. Bei guter Spurenlage und unter Anwendung aktueller Verfahren ist die Bestimmung tatsächlich mit so hohen Wahrscheinlichkeiten möglich, dass praktisch eine sichere Übereinstimmung angenommen werden kann. Doch es gibt vielfältige Fehlerquellen nicht nur bei der Sicherung und Auswertung, sondern auch bei der Interpretation von DNA-Spuren. Neuere Verfahren machen die Bestimmung zwar insofern sicherer, als immer kleinere und bruchstückhafte Spuren ausgelesen werden können. Damit steigt zugleich aber auch die Anfälligkeit für Fehler, die jenseits der rein technischen Verfahren liegen (bspw. durch DNA-Transfer).
Diese Unsicherheiten steigen mit dem Einsatz der seit 2019 über § 81e StPO möglichen sog. erweiterten DNA-Analyse. Die hier erreichten Wahrscheinlichkeiten liegen mitunter deutlich unter jenen, die der DNA-Beweis bietet. Die erweiterte DNA-Analyse wirft zugleich aber auch andere, grundsätzliche Fragen auf: Bei der hier vorgesehenen DNA-Analyse zu Fahndungszwecken geht es nicht mehr um den Abgleich einer DNA-Spur mit dem DNA-Profil eines Tatverdächtigen, sondern um die Bestimmung von genetisch determinierten Merkmalen eines Spurenlegers in einer beliebig großen Gruppe Tatverdächtiger. Bestimmt werden Iris-, Haut- und Haarfarbe sowie das Alter des Spurenlegers (mit unterschiedlich guten Wahrscheinlichkeiten). Auf dem Wunschzettel der Verfolgungsbehörden steht aber auch die Bestimmung der »ethnogeographischen Herkunft«. Dies birgt einerseits erhebliche Diskriminierungsgefahren und leistet einseitigen und vorurteilsgeleiteten Ermittlungen Vorschub. Mit der erweiterten DNA-Analyse wurde zugleich auch ein grundsätzlicher Bruch mit den bestehenden Grenzen der Nutzung der Möglichkeiten forensischer DNA-Analyse vollzogen, da erstmals auch über den nicht-kodierenden Bereich der DNA hinaus Informationen ausgelesen werden, die tief in den Bereich der Persönlichkeit eingreifen.
Die Tagung soll sich in verschiedenen thematischen Blöcken befassen mit:
I. Verteidigung gegen den DNA-Beweis:
– Grundlagen der forensischen DNA-Analyse: Was ist und wie funktioniert die DNA-Analyse?
– Neuere technische Entwicklungen und Wahrscheinlichkeitsaussagen
– Fehlerquellen (Verunreinigungen, Spurentransfer, Fehlinterpretation)
II. Erweiterte DNA-Analyse
– Bestimmungsmethoden und Sicherheit: Iris-Farbenbestimmung, Haut- und Haarfarbenbestimmung, ethnogeographische Herkunftsbestimmung
– Rechtliche Entwicklungen (§ 81e StPO) und Probleme
– grundlegende Verschiebungen: Eingriff in den kodierenden Bereich der DNA, Diskriminierungseffekte, Auftakt zu erweiterten Fahndungsmöglichkeiten
Die Veranstaltung wird aus (zum Teil aufgezeichneten) Referaten und Videos, Diskussionen mit den Referent*innen und Live-Diskussionen bestehen. Teilnehmer*innen erhalten ergänzendes Material zum Thema. Geplant ist die Möglichkeit zum Erwerb von bis zu acht Fortbildungsstunden.
SEPTEMBER 2021
Hearing:V:Personen
4./5. September 2021
Der Einsatz verdeckter Informationsgewinnung durch Hinweisgeber, Informanten, Vertrauenspersonen und verdeckte Ermittler bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Insbesondere der Einsatz von V-Personen, die in keinem Dienstverhältnis zu staatlichen Verfolgungsorganen stehen, dient regelmäßig der Umgehung der für verdeckte Ermittler geltenden Regeln. V-Personen dringen in einer Art in die geschützte Privatsphäre von Personen ein, gegen die ermittelt wird, die staatlichen Behörden verboten wäre. Im Strafverfahren werden regelmäßig nur die »Ergebnisse« verdeckter Ermittlungen eingeführt, während die Zeugen (V-Personen) gesperrt sind und nicht von dem/der Beschuldigten konfrontiert werden können. Von einem ganz besonderen Gewicht ist jedoch die (rechtsstaatswidrige) Tatprovokation durch V-Personen. Die Bundesrepublik ist vom EGMR wiederholt wegen des Verstoßes gegen das Fair-Trial-Gebot verurteilt worden (zuletzt 2020 – Urt. v. 15.10.2020, Az. 40495/15, 40913/15 und 37273/15). Auch die in der 18. Legislaturperiode einberufene Expertenkommission zur effektiven und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens hat die fehlende gesetzliche Regelung des Einsatzes von V-Personen bemängelt (Bericht, 2015, 83).
Im Frühjahr 2020 stellte das BMJV ein beim Deutschen Richterbund in Auftrag gegebenes Gutachten zur gesetzlichen Regelung des V-Personeneinsatzes vor. Zwei Gesetzanträge der Opposition liegen dem Bundestag mittlerweile zur gesetzlichen Regelung vor (Bt-Drs. 19/25248, Bt-Drs. 19/25352). Es ist davon auszugehen, dass die Formulierung eines Entwurfs für eine gesetzliche Regelung auf der Agenda der kommenden Legislaturperiode steht. Auch die Strafverteidigervereinigungen werden eine eigene Stellungnahme zur erforderlichen gesetzlichen Regelung vorlegen.
Das Hearing:V:Personen im September soll Expert*innen aus der strafrechtlichen Praxis und der Strafrechtswissenschaft mit Vertreter*innen des BMJV und der Rechtspolitik zusammenbringen, um die Entwürfe zu beraten. Angemeldete Teilnehmer*innen des Hearing:V:Personen haben die Gelegenheit, während des gesamten Anhörungsverfahrens live dabei zu sein, an den Debatten über Videoschalte und Chat teilzunehmen und eigene Beiträge einzubringen.
Den Teilnehmer*innen wird ergänzendes Material zum Thema zur Verfügung gestellt.
Geplant ist die Möglichkeit zum Erwerb von bis zu vier Fortbildungsstunden.
ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG 2021
14.11. – 12.12.2021
Zum Jahresende wird erneut ein vierwöchiges ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG stattfinden. In vielen verschiedenen Panels wird den Teilnehmer*innen erneut die Möglichkeit geboten, aktuelle rechtspolitische Fragen zu diskutieren, sich fortzubilden und untereinander auszutauschen. Das Programm des ONLINE FORUM wird voraussichtlich Ende der Sommerferien vorliegen.
Anmeldung & Information: www.strafverteidigertag.de
Muss ich das alles machen?
Nein. Niemand muss, aber alle können. Wir haben versucht, die Erfahrungen, die wir mit dem ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG im vergangenen Jahr gesammelt haben, in ein inhaltlich sinnvolles Jahreskonzept zu übersetzen, das jeder und jedem die Möglichkeit bietet, dann teilzunehmen, wann er/sie kann und will und sich mit den Themen zu befassen, die sie/ihn interessieren. Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Ihr und Sie sich dafür entscheiden, das ganze Jahr über dabei zu sein. Aber es ist auch möglich, sich für einzelne Veranstaltungen anzumelden. Wer das ganze Jahr dabei bleibt, bekommt das Paket im Ganzen aber günstiger.
Was kostet das? Wann und wo kann ich mich anmelden?
Die Anmeldung zum Strafverteidigerjahr ist ab jetzt möglich. Wir haben die Internetseite der Strafverteidigervereinigungen grundlegend überarbeitet und ein leicht verständliches und zuverlässiges Buchungssystem eingerichtet. Hier finden Sie auch bereits erste Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen. Weitere Inhalte werden sukzessive folgen.
Folgende Entgelte fallen für die Veranstaltungsteilnahme an (für Mitglieder der Strafverteidigervereinigungen ist die Teilnahme wie immer deutlich günstiger):
ABONNEMENTBUCHUNG STRAFVERTEIDIGERJAHR 2021
(alle Veranstaltungen zu einem Preis):
Alle drei Veranstaltung sind in der Abonnementbuchung enthalten.
Mitglieder: 500 € (420,17 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 79,83 €)
Nichtmitglieder: 700 € (588,24 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 111,76 €)
Junge Kolleg*innen: 400 € (324,00 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 76,00 €)
EINZELBUCHUNGEN:
»DAS LANGE WOCHENENDE DER GENOME«
Mitglieder: 200,00 € (162,00 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 38,00 €)
Nichtmitglieder: 300 € (243,00 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 57,00 €)
Junge Kolleg*innen 150 € (121,50 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 28,50 €)
Student*/Referendar*innen: 75 € (60,75 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 14,25 €)
»HEARING:V:PERSONEN«
Mitglieder: 150 € (126,05 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 23,95 €)
Nichtmitglieder: 250 €‑ (210,08 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 39,92 €)
junge Kolleg*innen 100 € (84,03 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 15,97 €)
Student*innen & Referendar*innen 50 € (42,02 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 7,98 €)
»ONLINE FORUM STRAFVERTEIDIGUNG 2021«
Mitglieder: 350 € (294,12 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 55,88 €)
Nichtmitglieder: 500 € (420,17 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 79,83 €)
Junge Kolleg*innen: 250 € (210,08 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 39,92 €)
Student*innen & Referendar*innen 100 € (84,03 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 15,97 €)
Anmeldung & Information: www.strafverteidigertag.de
Wann wird es denn wieder einen richtigen Strafverteidigertag geben?
Ehrlich? Wir wissen es nicht. Aber wir planen und zwar für 2022. Dann hoffentlich wieder mit Empfang, Abendveranstaltung und richtig vollen Sälen.
Und wenn die Pandemie im Sommer doch vorbei ist? Dann freuen wir uns alle. Und sind derart beschäftigt damit, uns durch die Clubs zu tanzen, die Bars leerzutrinken, in Restaurants zu völlern, in der Sauna zu schwitzen und im Stadion zu singen, dass wir ohnehin keine Zeit hätten für einen Strafverteidigertag